Die Gesundheits- und Pharmaindustrie spielt auch für die Immobilienwirtschaft eine immer größere Rolle. Europaweit sind zahlreiche Cluster entstanden. Deutsche Standorte gehören im internationalen Vergleich allerdings nicht zur Spitzengruppe, wie die JLL-Studie „EMEA Life Sciences Cluster Outlook 2023“ unterstreicht. Danach zählen nur Berlin-Potsdam und München zum direkten Verfolgerfeld der führenden Cluster um London, Oxford und Cambridge. Die Rhein-Ruhr- und die Rhein-Neckar-Region ordnet die Studie dem etablierten Mittelfeld zu, während die Region Hamburg zu den sich entwickelnden Clustern gezählt wird.
Dr. Alexander Nuyken, Head of Life Sciences Markets JLL EMEA: „Die Bedeutung Deutschlands als Forschungs- und Produktionsstandort ist in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen. Dennoch hat der Life-Science-Standort Deutschland noch einiges aufzuholen, um zur europäischen Spitze aufzuschließen. Nicht zuletzt der fehlende Platz für Forschung und Produktion könnte sich als entscheidendes Nadelöhr erweisen.“
Auch wenn die Investitionen in den Life-Science-Sektor 2022 nach dem Rekordjahr 2021 um rund 25 Prozent auf 10,5 Milliarden US-Dollar zurückgingen, steht fest, dass sich der Bereich dynamisch weiterentwickeln wird: Die Branche steht auf einem gesunden Fundament, die Entwicklungspipelines sind gefüllt und der medizinische Bedarf an neuen Therapien ist längst nicht gedeckt.
Aktuell fehlt es vielerorts noch an passenden Flächen und Objekten für Life Science
Doch zugleich herrscht auf dem hochspezialisierten Immobilienmarkt der Gesundheits- und Pharmaindustrie ein Ungleichgewicht zwischen Verfügbarkeit und Nachfrage. Ein knappes Angebot an Anlageobjekten und Flächen begrenzt die Möglichkeiten, treibt Transaktionsvolumina und Mieten zugleich in die Höhe. Investoren reagieren darauf, indem sie neue Bestände durch Neuentwicklung und Umnutzung schaffen. „Dabei spielen ESG-Kriterien eine große Rolle über alle Arten von Biowissenschaftsgebäuden hinweg. Für Investoren wie Nutzer stehen die Mitarbeiter im Mittelpunkt, die in nachhaltigen und technologiegestützten Immobilien die Strategien und Wachstumspläne der Unternehmen umsetzen“, betont Nuyken. Das bedeutet bei Neuentwicklungen aber auch, dass diese nicht allein abseits in der Peripherie entstehen können, sondern auch in bestehende Infrastruktur integriert werden müssen, um für Mitarbeiter attraktiv zu sein.
Stärker als in den meisten anderen Nutzungsarten spielt im Life-Science-Bereich die Vernetzung, Kooperation und Schwerpunktbildung eine zentrale Rolle: „Joint Ventures aus Entwicklern, Unternehmen und Forschungseinrichtungen schaffen neue Plattformen, um Kompetenzen zu bündeln und Kosten zu senken“, beschreibt Nuyken, „so werden beispielsweise Back-Office-Funktionen ausgelagert.“ Zugleich erlebe der Markt derzeit mehrere Firmenübernahmen und Fusionen.
Studie untersucht Cluster auf Fördermittel, Talente, Wirtschaftsumfeld und Immobilienmarkt
Sechs Regionen nimmt die Studie verschärft unter die Lupe – darunter Berlin-Potsdam und die Rhein-Ruhr-Region. Dabei werden jeweils die vier Leitkriterien wirtschaftliches Umfeld, Talentpool, Investitionen und Immobilienmarkt bewertet.
Die Bundeshauptstadt Berlin im Verbund mit der brandenburgischen Landeshauptstadt Potsdam profitiert nach Analyse der Autoren von der starken Start-up-Szene, die sowohl Fördermittel und Talente anzieht und so ein starkes wirtschaftliches Umfeld gebildet hat. Befeuert wird dies auch durch die zunehmende Konvergenz von Zellbiologie und Datenverarbeitung. Zugleich herrscht aber Objekt- und Flächenknappheit, denn nahezu alle Life-Science-Immobilien in Berlin und dem Umland sind bereits belegt und es wird zu wenig nachgebaut. „Potsdam bietet hier noch viele Optionen. Zugleich ist die öffentliche Unterstützung für Life-Science-Unternehmen deutlich gewachsen, so dass sich der Cluster weiterentwickelt“, erwartet Nuyken.
Das Rhein-Ruhr-Gebiet von Köln bis Dortmund ist ein europäisches Industriezentrum mit zahlreichen Universitäten, in dem Unternehmen vornehmlich Produktion angesiedelt haben. Der etablierte und dienstleistungsorientierte Fokus auf Forschung und Entwicklung führt dazu, dass der Cluster weniger Risikokapital erhält, da die Unternehmen meist umsatz- oder margenorientiert sind. Die große geografische Ausdehnung des Clusters bietet zwar eine Reihe sehr großer Wissenschaftsparks, von denen jedoch nicht viele kommerziell ausgerichtet sind. „Angesichts des Ballungsraums, der Nähe des Clusters zu den Niederlanden, Belgien und Frankreich sowie der starken Verankerung, ist das Potenzial für die Entwicklung eines Ökosystems gegeben. Wichtiger Impuls dafür wären verstärkte Investitionen aus dem Ausland“, analysiert Alexander Nuyken.
Trotz der gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen ist ein weiteres Wachstum des Markts für Life-Science-Produkte zu erwarten. Allerdings dürften Investments und langfristige Strategien stärker als in den beiden Rekordjahren 2020 und 2021 geprüft und abgewogen werden.
Quelle: JLL