Ein Kommentar von Roland Koch, Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.
Die großen Jubiläen kommen in diesen Tagen eng zusammen. Nicht nur, dass Währungsreform und die Geburtsstunde der Sozialen Marktwirtschaft vor 75 Jahren am 18. Juni ins Haus stehen. In Frankfurt wird dem 175. Jahrestages der Eröffnung des Paulskirchenparlaments gedacht. Es war das erste frei gewählte Parlament in Deutschland und tagte von 1848 bis 1849. Es wurde in einer Zeit großer politischer und wirtschaftlicher Umbrüche einberufen, als die Menschen nach politischer Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit strebten.
Die Ereignisse der Jahre 1848/49 waren weitgehend friedlich, wir sprechen heute von der Revolution von 1848 als einem der wichtigsten Meilensteine der modernen deutschen Geschichte. Der organisierte Parlamentarismus, die Freiheit der Rede und die Emanzipation des Bürgertums wurden die prägenden Merkmale für die kommenden 175 Jahre. Aber sie sind bis heute nicht selbstverständlich, im globalen Wettbewerb der Systeme sind sie kostbare Säulen, und es ist gut, dass wir dies feiern.
Viele Säulen einer Marktwirtschaft wurden Teil des Verfassungsentwurfs
Und ja, es gibt tatsächlich Zusammenhänge zwischen den wichtigen Entscheidungen des Paulskirchenparlaments von 1848 und der Wirtschaftsordnung. Wichtige Entscheidungen, die den Übergang von einer feudalen zu einer modernen, kapitalistisch geprägten, liberalen Wirtschaftsordnung vorbereiteten, wurden damals getroffen. Hier sind einige der markanten Entscheidungen:
- Abschaffung der Zünfte: Das Paulskirchenparlament setzte sich für die Abschaffung der Zunftsysteme ein. Diese regulierten den Zugang zu bestimmten Berufen stark. Die Zünfte waren ein Relikt des feudalen Systems und behinderten die wirtschaftliche Entwicklung. Durch ihre Abschaffung wurden wirtschaftliche Freiheiten und Chancengleichheit gefördert.
- Freihandel und Zollunion: Das Paulskirchenparlament strebte die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraums in Deutschland an. Es wurden Maßnahmen ergriffen, um Handelsbeschränkungen zwischen den deutschen Staaten abzubauen und den freien Austausch von Waren und Dienstleistungen zu fördern. Dies schuf die Grundlage für eine stärkere wirtschaftliche Integration und Entwicklung.
- Eigentumsrechte und Rechtssicherheit: Das Paulskirchenparlament verankerte den Schutz von Eigentumsrechten und die Gewährleistung von Rechtssicherheit in der Verfassung. Dies war von großer Bedeutung für die Förderung wirtschaftlicher Investitionen und den Aufbau eines funktionierenden Wirtschaftssystems.
- Bank- und Währungsreform: Das Paulskirchenparlament erkannte die Bedeutung einer stabilen Währung und eines funktionierenden Bankensystems für die wirtschaftliche Entwicklung. Es wurden Pläne zur Einführung einer einheitlichen Währung und zur Reform des Bankwesens diskutiert, die später teilweise in der Gründung der Deutschen Reichsbank im Jahr 1875 mündeten.
Alle diese Entscheidungen legten die Grundlage für eine modernere und liberalere Wirtschaftsordnung in Deutschland. Obwohl das Paulskirchenparlament letztendlich nicht dauerhaft erfolgreich war, hatte es dennoch einen bedeutenden Einfluss auf die wirtschaftliche und politische Entwicklung Deutschlands im 19. Jahrhundert.
Die Forderungen von 1848 sind auch heute noch aktuell
Schauen wir uns im Frühjahr des Jahres 2023 die Realität an, so müssen wir erstaunt feststellen, dass keine der damals festgelegten Ordnungsmerkale wirklich unumstritten sind.
- Wir kämpfen heute nicht mehr um die Zünfte. Aber die großen Hürden für die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse sind ein wesentlicher Grund für die Probleme bei der Zuwanderung von Fachkräften.
- Freihandel und Zollunion sind so aktuell wie eh und je. Nicht einmal in Europa ist der Binnenmarkt wirklich vollendet. Unter größter Not basteln wir an den Übergabestellen für eine Energieunion. Die europäischen Banken werden international bedeutungslos, auch weil eine Bankenunion am deutschen Widerstand scheitert. Darüber hinaus werden Handelsabkommen über die Grenzen Europas hinaus entscheidend für das künftige Wachstum sein.
- Eigentum und Rechtssicherheit bleiben die Existenzgrundlage jeder Marktwirtschaft. In nahezu keinem entwickelten Land gibt es weniger Wohneigentum als in Deutschland. Dies und die mangelnde Kapitalvorsorge für das Alter gehören zu den Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte. Zugleich kommen neue Fragen des Eigentums auf, die bisher keiner kannte; Denken wir etwa an das Eigentum eigener Daten oder in Zukunft an das Eigentum an Produkten der Künstlichen Intelligenz.
- Nicht zuletzt die Währungsunion: Der Euro ist die Klammer des europäischen Wirtschaftsraumes. Aber viele zweifeln noch immer an der gemeinsamen Währung. Die egoistische Haltung mancher Euro-Länder bezüglich Staatsschulden und Inflationsbekämpfung stellt die Währung schließlich immer wieder ins Feuer. Die EZB muss auch erst beweisen, dass sie eine starke und unabhängige Zentralbank ist, denn bis heute sind Zweifel nicht unangebracht.
Die Revolution 1848/49 war ein Schritt zur Emanzipation der Bürger von der feudalen Staatsmacht der Vergangenheit. Heute beschäftigen uns Umfragen, die zeigen, wie fixiert eine große Zahl von Bürgern auf den alles regelnden und schützenden Staat ist. Vor 175 Jahren ging es um die Befreiung von staatlichen Zwängen. Heute sehen wir tägliche Angriffe auf Freiheit, Eigenverantwortung und Flexibilität. Wir sollten uns von den Hoffnungen der Revolutionäre vor 175 Jahren tragen lassen, sonst werden in einigen Jahren Rufe nach einer neuen Revolution aufkommen. Manche gefährlichen Vorboten solcher Entwicklungen können wir bei unserem atlantischen Partner, den USA, schon beobachten. Die große Leistung der Mitglieder des ersten gewählten deutschen Parlaments sollte unsere Richtschnur bleiben.