„Wir sollten auch einen Weg suchen, die EU und die ASEAN-Länder über Freihandel zu verbinden“, empfahl Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Montag dieser Woche auf der Asien-Pazifik-Konferenz. Das ist eine gute und wichtige Richtungsänderung des Ministers und hoffentlich auch seiner Partei. Es gibt ja gleichzeitig Hoffnung, dass das Handelsabkommen mit Kanada nach indiskutablen Verzögerungen in den nächsten Wochen im Deutschen Bundestag ratifiziert wird, und auch die Gespräche mit Mexiko und Chile haben inzwischen das deutsche Wohlwollen.
Wie so vieles in der aktuellen Politik, kommt auch hier die Erkenntnis spät. Im Juni 2016 klang das bei Robert Habeck im Hinblick auf CETA noch anders: „Die erkämpften Rechte der Bürger, der Schutz der Verbraucher, der Arbeitnehmer, der Umwelt dürfen nicht zur Verhandlungsmasse werden. Das ist aber bei CETA und beim TTIP-Abkommen mit den USA die Gefahr.“ Bei CETA geht es nicht um China; es geht um Kanada! Schon damals musste klar sein, wer aus Gründen der Menschenrechte kein Abkommen mit Kanada oder den USA zustande bringt, wird keine Partner in der Welt finden können.
Der Zeitenwende ist auch diese Hybris zum Opfer gefallen. Es ist auch wahr, dass viele Handelsexperten zur Jahrtausendwende der Meinung waren, das bilaterale Handelsabkommen durch immer tiefgreifendere WTO-Vereinbarungen überflüssig würden, ja sogar die WTO-Bewegung bremsen würden. Zu dieser Zeit gab es die Vision des Planeten als einen einzigen zusammenhängenden ökonomischen Kosmos. Diese Illusion durfte es schon seit dem Amtsantritt von Xi Jinping vor 10 Jahren nicht mehr geben und schon gar nicht, nach dem ersten Putin-Krieg 2014. Jetzt ist auch formal „Zeitenwende“, und wir müssen eine neue Ordnung bauen.
Marktwirtschaft braucht offene Grenzen. Ludwig Erhard war immer ein Verfechter eines vom Protektionismus so weit als möglich befreiten Außenhandels. Was aber wird jetzt kommen, wenn die Zeit der „Geo-Ökonomie“ durch die Zeit der „GEO-Strategie“ abgelöst wird und politische Interessen wichtiger werden? Da das deutsche Geschäftsmodell der letzten Jahrzehnte mehr als jedes andere nationale Wirtschaftsmodell auf internationalen Handelsbeziehungen beruhte, ist diese Frage besonders drängend. Meine These ist, dass wir zunehmend einen „Vereinbarungs-Handel“ sehen werden. Das bedeutet, dass wichtige Wirtschaftsregionen der Welt zunächst ihre eigenen Interessen definieren und dann mit anderen großen Wirtschaftszonen die Standards ihrer wirtschaftlichen Beziehungen vereinbaren werden. So neu ist das aber auch nicht. Ökonomen kennen diese Mechanismen eigentlich mit dem Zweck des Schutzes junger Industrien in sich entwickelnden Ländern. Und Kontingente kennt das Zollrecht auch heute. Unser Stahlbezug aus China oder den USA ist durch staatlich vereinbarte Kontingente ebenso geregelt wie der Handel mit zahlreichen Nahrungsmitteln.
Das ist eine Behinderung des Wettbewerbs, es versperrt den Besten bedeutende Märkte und reduziert so das globale Wachstum. Es ist eben der Preis für autokratische Machtansprüche und kontrollversessene Diktatoren. Unter diesen Bedingungen gibt es zwei zentrale deutsche Interessen in der Handelspolitik. Zum einen muss der Markt freiheitlicher Wirtschaftsräume, die ohne staatliche Bevormundung miteinander Handel treiben, so groß wie möglich werden. Zum anderen müssen auch mit Regionen Wirtschaftsbeziehungen aufrechterhalten werden, in denen der Markt eingeschränkt ist und wo die Handelsbeziehungen auf wackligen Füssen stehen. Unternehmen, die in solchen Regionen aktiv sind, müssen die Risiken, die sich daraus ergeben, einpreisen und absichern.
Die erste Aufgabe besteht also im Abschluss von Handelsabkommen, wie die Europäische Union es bereits mit Japan vereinbart hat. Ziel müssen Abkommen mit großen Wirtschaftsregionen sein: Mit Kanada und Mexiko hätten wir endlich wenigstens beachtliche Teile der nordamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (USMCA) abgedeckt. Von einem Abkommen mit dem Mercosur würden ebenfalls beide Seiten stark profitieren. Australien und Neuseeland sind enge Partner des ASEAN-Bundes und mit Unterzeichnung der sogenannten Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) zum 1. Januar 2022 einer Freihandelszone mit dem Großteil der ASEAN-Staaten beigetreten. Aber auch hier soll es jenseits des Ministers wieder Bedenken in Berlin geben, welche Verhandlungen erschweren. Natürlich ist es auch von großem Interesse, den über die EU hinaus eine erweiterte Europäische Freihandelszone zu vereinbaren und Handelshemmnisse weiter abzubauen. Es gibt für die Erweiterung des Binnenmarktes mehrere wichtige Kandidaten, wie zum Beispiel die Balkanstaaten, die Türkei und Israel. Langfristig kommt auch die Ukraine in Frage.
Es sollte zugleich jede verantwortbare Möglichkeit genutzt werden, eine Tür zu Volkswirtschaften wie China oder Indien offen zu halten. Faire und vernünftige Handelsabkommen wird es hier zwar so schnell nicht geben. Da greift der „Vereinbarungs-Handel“. Wir müssen also selbstbewusst entscheiden, was wir wollen, und wir müssen offensichtlich entstandene Abhängigkeiten wieder ins Lot bringen. Oder um es mit den Worten Habecks zu sagen: „China investiert rund um die Erde, China kauft seine Rohstoffe rund um die Erde, aber es verbietet, sich in seine Infrastruktur einzukaufen. Warum machen wir es nicht genauso?“ Für die deutsche Wirtschaft wird das ein schwieriger Weg, denn sie hat die Investitionen in China bislang eher risikoarm bewertet. Auf einmal gelten diese Initiativen als Klumpenrisiko. Die Staatsversicherung Hermes wird zurückhaltender und der Kapitalmarkt stellt Fragen. Das alles hat Einfluss auf Preise, verändert Lieferketten und lässt neue Märkte interessanter werden.
Den Welthandel gibt es glücklicherweise auch in Zukunft. Aber er benötigt eine starke und Interessen bewusste politische Begleitung. Das ist in der Tat verglichen mit den Hoffnungen nach 1989 nur die zweitbeste Lösung. Aber daraus lässt sich trotzdem eine Menge machen.
Quelle: Roland Koch, Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.