Während der deutsche Bürovermietungsmarkt dieses Jahr nach JLL-Prognose mit einem Flächenumsatz von 3,6 Millionen m² in den sieben Metropolen und damit drei Prozent über dem Zehnjahresschnitt abschließt, wird der Investmentmarkt voraussichtlich 70 Milliarden Euro umfassen. Das Transaktionsvolumen läge damit im abgelaufenen Jahr knapp unter dem Zehnjahresmittelwert von 72 Milliarden Euro. Der Grund für das unterdurchschnittliche Abschneiden liegt auf der Hand: Die Krise hat den deutschen Immobilienmarkt mittlerweile voll im Griff.
Tatsächlich handelt es sich um ein Bündel von multiplen Krisen: vom Krieg in der Ukraine über weitere geopolitische Spannungen und Konflikte bis zu Inflation, Zinsanstieg, Handelsbeschränkungen aufgrund von Lieferkettenunterbrechungen und der Sorge um die weitere konjunkturelle Entwicklung. Über all diesen „thront“ die anhaltende Sorge um die Energieversorgung von privaten Haushalten und Industrie mit volatilen Gas- und Strompreisen sowie die Angst um Blackouts im anstehenden Winter.
Dennoch: „Nicht alle diese Themen haben sich im ausklingenden Jahr gleichförmig und ausschließlich negativ entwickelt, und so bleibt am Ende des Jahres festzuhalten: Wir leben in einer Welt der ,Abers‘ mit einer Mischung aus erhellenden Fakten in Bezug auf die aktuelle Lage und einem gleichzeitig relativierenden Ausblick“, bilanziert Helge Scheunemann, Head of Research JLL Germany, das Immobilienjahr 2022.
Diese Widersprüche betreffen sowohl Finanz- und Realwirtschaft als auch Immobilienmärkte gleichermaßen. Letztendlich sind sie Ausdruck einer Unsicherheit aller handelnden Akteure vor allem mit Blick auf die kommenden Wochen und Monate. „Und da der Immobilienmarkt ein zeitlich nachlaufender Sektor ist, werden wir die Entfaltung von Trends und Entwicklungen der vergangenen Monate erst im Laufe des nächsten Jahres sehen. Das können – und das ist aktuell immer wichtig zu betonen – nicht nur negative Implikationen sein. So rechnen wir zum Beispiel damit, dass die Inflation aktuell ihren Höhepunkt erreicht hat und sich zwar langsam, aber stetig abbauen wird“, erläutert Scheunemann. Das werde für die fremdkapitalintensive Immobilienbranche Folgen haben. So könnte sich die aktuelle „Transaktions-Starre“ lösen und es ab Mitte 2023 wieder zu einer Marktbelebung kommen. „Spätestens dann werden sich Käufer und Verkäufer auch mit der neuen Zinslandschaft arrangiert haben.“
Investoren brauchen verlässlichen Korridor aus Margen und Zinsen
Klar ist, dass es eine Rückkehr zu den Nullzinsen der vergangenen Jahre nicht geben wird und der Anpassungsprozess bei einer Vervierfachung der Finanzierungskonditionen nicht vonstattengehen kann, ohne Spuren zu hinterlassen. Entscheidend wird sein, dass ein Boden beziehungsweise ein Korridor gefunden wird, in dem sich Margen und Kapitalmarktzins einpendeln, und mit denen Investoren und Entwickler verlässlich kalkulieren können. Die Zügel in der Hand haben dabei die Notenbanken. „Wir rechnen damit, dass die EZB in ihrer letzten Sitzung des Jahres am 15. Dezember den Leitzins um 50 Basispunkte und Anfang nächsten Jahres um weitere 25 Basispunkte anheben wird. Das wären zunächst zwei weitere Schritte im Kampf gegen die Inflation, zugleich aber kleinere Schritte als die beiden massiven Zinsanhebungen mit jeweils 75 Basispunkten im Laufe des Jahres 2022“, sagt Scheunemann.
Andererseits würde mit einer Verlangsamung des geldpolitischen Restriktionskurses ebenso deutlich, dass Schritt für Schritt die Sorge um die Wirtschaft Oberhand gewinnt. In Deutschland haben sich die konjunkturellen Indikatoren etwas aufgehellt und besonders das kleine Wachstumsplus im dritten Quartal hat doch viele überrascht. In diesem Jahr dürfte die deutsche Wirtschaft somit um 1,5 Prozent wachsen. Ein Abdriften in eine kurze und milde Rezession scheint aber nicht mehr abzuwenden zu sein, und selbst wenn sich ab Mitte 2023 der Konjunkturhimmel wieder aufhellen sollte, rechnen die meisten Forschungsinstitute mit einer negativen Wachstumsrate, die für das Gesamtjahr laut Consensus Economics bei minus 0,4 Prozent liegen dürfte.
Die klassische Jahresendrallye fällt 2022 aus
Der Mix aus rasant steigenden Zinsen und einer unsicheren Wirtschaftsentwicklung ist die Triebfeder für die Entwicklung des deutschen Immobilieninvestmentmarkts 2022. Dabei steht ein von Krisen noch weitgehend unbeeinflusstes erstes Quartal diametral den anderen Quartalen gegenüber. Das Glas ist dennoch halb voll, denn trotz der schwierigen Umstände konnten im dritten Quartal mehr Transaktionen gezählt werden als im zweiten und auch als im ersten. Allerdings wurden die meisten Transaktionen weit vor den Zinskorrekturen eingefädelt, dennoch steht dies als positiver Fakt in der Statistik. Das noch laufende vierte Quartal dürfte derweil keine traditionelle Jahresendrallye hervorbringen. So wird sich das Transaktionsvolumen inklusive Living für das Gesamtjahr 2022 auf voraussichtlich insgesamt 70 Milliarden Euro summieren. Das wäre gleichbedeutend mit einem Minus von rund 37 Prozent gegenüber dem Rekordjahr 2021. Der Zehnjahresschnitt wird dagegen voraussichtlich um rund drei Prozent knapp verfehlt.
Mit der Rückkehr des Zinses sind alternative Anlagen wieder vermehrt in den Fokus der institutionellen Anleger gerückt. Unter einer nominalen Betrachtung haben vor allem Bundesanleihen gegenüber Immobilien an Attraktivität gewonnen, was den Kapitalzufluss in den Immobilienmarkt in den letzten sechs Monaten gehemmt hat. Der Abstand von Immobilienrenditen zu zehnjährigen Staatsanleihen ist dementsprechend zum Ende des dritten Quartals 2022 auf rund 0,5 Prozentpunkte gesunken, eine solch niedrige Renditedifferenz hat es seit 2008 nicht mehr gegeben. Bis zum Ende dieses Jahres ist allerdings aufgrund leicht sinkender Anleiherenditen und steigender Immobilienrenditen wieder mit einer Ausweitung des Spreads zu rechnen. Dennoch bleibt für die Jahresbilanz 2022 festzuhalten, dass insgesamt deutlich weniger frisches Kapital für Immobilienanlagen verfügbar war.
Mit dem Ende der Orientierungsphase kehrt auch wieder mehr Kapital in den Markt zurück
Doch mittelfristig wird der Investitionsschwerpunkt nicht mehr länger in der Null- und Negativzinsflucht liegen, sondern beim Inflationsschutz und der Realzinssicherung. Je länger das inflationäre Umfeld anhält, desto intensiver werden sich Versicherer, Pensionskassen und private Anleger mit dem Kaufkraft- und Vermögensverlust auseinandersetzen und Anlagen favorisieren, welche bestmöglichen Schutz vor der Teuerung bieten. Sobald die Orientierungsphase am Immobilienmarkt und die Rekalibrierung der Preisniveaus beendet ist, dürfte daher wieder Kapital in die Assetklasse Immobilie zurückkehren.
Der Blick auf die Marktanteile der einzelnen Assetklassen zeigt ein im Vergleich zu den vergangenen Jahren ungewohntes Bild: Wohn-, Senioren-, Studenten- und Pflegeimmobilien (Living) haben deutlich an Attraktivität eingebüßt und ihren Anteil am deutschlandweiten Transaktionsvolumen auf nur noch 23 Prozent halbiert. Natürlich war 2021 durch die Übernahme von Deutsche Wohnen durch Vonovia ein besonderes Jahr, jedoch liegt der für 2022 erwartete Anteil auch acht Prozentpunkte unter dem Zehnjahresschnitt. Besonders im Wohnungsmarkt warten aktuell viele Marktteilnehmer weiterhin ab. So finden sich sowohl auf der Seite der potenziellen Käufer als auch auf Verkäuferseite viele Akteure, die aufgrund der aktuellen Marktphase nur selektiv und preissensibel agieren. Die Zeit der hohen Transaktionsvolumina ist vorerst vorbei. Makroökonomische Umwälzungen und drastische Veränderungen im Finanzierungsumfeld führen zu geringer Aktivität und damit zu erhöhter Intransparenz und Unsicherheit auf dem deutschen Wohnungsmarkt. Die Phase der Transition am Markt für Wohninvestments wird daher noch anhalten, ein Abgleiten in einen längeren Dornröschenschlaf ist jedoch nicht zu erwarten. Eine wachsende Diskrepanz zwischen realer Wohnungsnachfrage und -angebot auf dem Mietwohnungsmarkt dürfte die Attraktivität der Assetklasse auf mittlere Sicht stützen.
Vier Kriterien sind Voraussetzung für die Nachfrage nach Büroobjekten
Ein Comeback werden dagegen Büroimmobilien erleben. Deren Anteil steigt in der Gesamtbetrachtung des Jahres 2022 voraussichtlich auf rund 37 Prozent. Damit werden Büroimmobilien im Gesamtwert von 26 Milliarden Euro den Besitzer gewechselt haben. Bemerkenswert: Das sind absolut gesehen nur etwa eine Milliarde weniger als 2021. Investoren glauben nach wie vor an das Produkt Büro. Zurecht, sofern es die folgenden Kriterien erfüllt:
- das Objekt muss gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden sein,
- das Umfeld muss über eine gute Infrastruktur verfügen,
- die Büroflächen müssen eine sehr gute Ausstattungsqualität aufweisen,
Anforderungen an die Nachhaltigkeit müssen erfüllt sein. Diese Aspekte steigen in ihrer Bedeutung, hierzu gehören nicht nur Energieverbräuche und CO2-Emissionen, sondern auch die Verpflichtung der Nutzer zu entsprechenden Zielen.
Dies alles lässt sich unter dem Trend „Flight to Quality“ subsumieren. Und sofern diese Kriterien erfüllt sind, werden Büroimmobilien ihren Patz in den Portfolios der Investoren behalten. Die Anforderungen der Investoren gehen hierbei Hand in Hand mit dem Agieren der Nutzer. „Ende vergangenen Jahres hatten wir prognostiziert, dass 2022 etwa 70 Prozent der Neuvermietungen in den sogenannten A-Flächen stattfinden werden und dieser Wert ist mittlerweile auch erreicht worden“, vergleicht Scheunemann. Bei einem prognostizierten Vermietungsumsatz von 3,6 Millionen m² in den Big 7 wären das immerhin 2,5 Millionen m² top-ausgestatteter Flächen, die einen Nutzer fanden.
Die Büroflächennachfrage boomt also noch. Das Jahr 2022 wird mit einem Plus von rund acht Prozent gegenüber 2021 in die Statistik eingehen und den zehnjährigen Mittelwert um mehr als drei Prozent übertreffen. Das Volumen wird sich allerdings mit der anstehenden konjunkturellen Schwächephase im nächsten Jahr nicht halten lassen. „Wir rechnen dann auf Gesamtjahressicht mit einem Rückgang der Nachfrage um zehn bis 15 Prozent“, sagt Scheunemann.
Der Bürovermietungsmarkt wird traditionell geprägt durch den Dienstleistungssektor. Auf diesen entfallen im Schnitt der vergangenen zehn Jahre mehr als 17 Prozent des Vermietungsumsatzes, ein Wert, der auch 2022 erreicht werden dürfte. Anders sieht es dagegen bei Unternehmen aus der Industrie aus. Auch sie fragen, oftmals in größerem Umfang, Büroflächen nach und stehen in der Langfristbetrachtung auf Platz zwei mit einem durchschnittlichen Umsatzanteil von fast 13 Prozent.
Wie sehr aber die aktuellen Krisen rund um Lieferketten, Inflation und Energie auf die gesamte unternehmerische Kostenbilanz durchschlägt, zeigt sich daran, dass deren Umsatzanteil auf acht Prozent im laufenden Jahr deutlich zurückgegangen ist. „Nicht nur, aber gerade in der Industrie werden wir im nächsten Jahr eine Zweiteilung erleben zwischen energieintensiven Bereichen, wie zum Beispiel der Chemiebranche oder der Stahlproduktion, und weniger energieabhängigen Segmenten wie der Pharmaindustrie. Das dürfte sich in der Konsequenz auch in der Mitarbeiterzahl und damit der Nachfrage nach Büroflächen zeigen“, ist Scheunemann überzeugt.
Fertigstellungsvolumen wird im kommenden Jahr zurückgehen
Die leicht rückläufige Nachfrage im kommenden Jahr trifft auf ein höheres Angebot in Form von steigenden Leerstandsquoten. Hier erwartet JLL eine Zunahme auf Jahressicht von 80 Basispunkten auf dann 5,7 Prozent bei einem abnehmenden Fertigstellungsvolumen. Dieses wird dann bei etwa 1,6 Millionen m² und damit um rund 14 Prozent unter dem Volumen aus 2022 liegen. Hinzu kommt, dass rund die Hälfte der Neubauflächen, deren Fertigstellung 2023 erwartet wird, bereits durch Vorvermietungen oder an Eigennutzer vergeben sind. „In dieser Angebots-Nachfrage-Konstellation sehen wir dennoch Spielraum für weiteres Mietwachstum. Dieses wird sich allerdings gegenüber 2022 von 8,2 Prozent auf dann 3,6 Prozent deutlich abschwächen “, prognostiziert Scheunemann. Einer wirtschaftlich herausfordernden Lage gerade zu Beginn des kommenden Jahres stehen die oben skizzierten Nutzeranforderungen und die steigenden Baukosten gegenüber, wobei das Pendel aus Sicht von JLL zugunsten eines weiter steigenden Qualitätsfokus ausschlägt.
Für Investoren ergeben sich in der Gesamtschau im Zuge steigender Zinsen und Renditen gute Einstiegsmöglichkeiten, bevor in der zweiten Jahreshälfte 2023 eine Konsolidierung oder sogar eine neue Renditekompression einsetzen könnte. „Für Bestandshalter muss es das Bestreben sein, die Wertabschläge in ihren Portfolios über indexierte Mietverträge zumindest abzufedern. Je höher die Inflation ist, desto besser schneiden Immobilien mit Indexierung gegenüber solchen ohne Indexierung bei der Wertentwicklung ab“, so Helge Scheunemann.
Quelle: JLL