Lage schlägt Stimmung. So lässt sich das abgelaufene Jahr in Bezug auf die konjunkturelle Entwicklung sowie den deutschen Bürovermietungsmarkt beschreiben. Die sieben deutschen Immobilienhochburgen haben das Jahr 2022 mit einem Büroflächenumsatz von 3,5 Millionen m² abgeschlossen und damit den Vorjahreszeitraum um 6,5 Prozent übertroffen. Nur wenige hatten dem Markt angesichts der zahlreichen Herausforderungen ein derart robustes Wachstum zugetraut. „Stärker denn je hat sich der Markt ausdifferenziert. So ließ sich in den großen Städten eine Entkopplung von Bürospitzenmieten und Leerstandsquoten beobachten. Heute ist es kein Widerspruch mehr, dass beide parallel steigen. Denn während in den Toplagen ein harter Wettbewerb um hochmoderne und ESG-konforme Flächen Mietsteigerungen befeuert, haben es Randlagen mit verminderter Qualität immer schwerer, einen Nutzer zu finden und erhöhen damit die Verfügbarkeit“, analysiert Dr. Konstantin Kortmann, Country Leader JLL Germany und Head of Markets. Beides müsse man bei der Bewertung des Marktes im Blick behalten.
Denn sämtliche Indikatoren, die die Gemütslage bei Verbrauchern und Unternehmen regelmäßig abfragen, zeigen auch zum Jahresende ein eher düsteres Bild. Demgegenüber stehen einige Fakten, die zur Überraschung der meisten Experten deutlich besser ausgefallen sind als prognostiziert. „Dazu gehört das Wirtschaftswachstum, welches in den beiden letzten Quartalen eben nicht gesunken ist, sondern nach wie vor ein leicht positives Ergebnis zeigte. Und zu den positiven Überraschungen gehört auch die Entwicklung am Arbeitsmarkt. Trotz Energiekrise, trotz hoher Inflation und trotz Materialengpässen ist die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland im vergangenen Jahr auf ein Rekordniveau gestiegen“, sagt Helge Scheunemann, Head of Research JLL Germany. Sie nahm um 589.000 oder 1,3 Prozent auf rund 45,6 Millionen zu. Noch nie seit 1990 gingen damit so viele Menschen einer Erwerbstätigkeit nach. Ursächlich hierfür war die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte sowie eine gesteigerte Erwerbsbeteiligung der inländischen Bevölkerung. „Nahezu der gesamte Beschäftigungsaufbau von gut 548.000 Personen geht dabei auf den Dienstleistungssektor zurück, der rein rechnerisch für einen zusätzlichen Büroflächenbedarf – ob nun im Büro, zu Hause oder in einem Coworking-Space – von rund acht Millionen m² sorgte, wenn man 15 m² pro Person ansetzt“, kalkuliert Scheunemann.
Für die deutsche Konjunktur und damit auch für den Büromarkt stehen für das neue Jahr 2023 die folgenden Aspekte besonders im Fokus:
- Für die ersten beiden Quartale 2023 wird jeweils ein leicht rückläufiges Wirtschaftswachstum erwartet. Wie stark dieses Minus ausfallen wird, oder ob eine Rezession sogar ganz vermieden werden kann, hängt auch von der Entwicklung in den USA und vor allem in China ab. Hier wird es darauf ankommen, ob die aktuelle Covid-Welle unter Kontrolle gebracht werden kann. Ansonsten wären erneute Lieferkettenstörungen, Materialengpässe und damit neue Nahrung für die Inflation gegeben.
- Die Energieversorgung und -einsparung sowohl bei Haushalten als auch in der Industrie bleibt ein zentrales Thema, besonders im Hinblick auf den nächsten Winter 2023/2024.
- Unternehmen in Deutschland stehen unter immensem Kostendruck. Neben den Energiekosten sind es Investitionen in Nachhaltigkeitsziele, Investitionen in die Mitarbeiter und die Arbeitsplätze.
Für die Bürovermietungsmärkte in Deutschland führt vor allem der Kostendruck der Unternehmen zu einem Rückgang der expansiven Nachfrage sowie einem verstärkten Fokus auf Vertragsverlängerungen, um kostenintensive Umzüge zu vermeiden. Darüber hinaus dürften manche Unternehmen die Untervermietung von nicht mehr benötigten eigenen Flächen anstreben.
Nachfrage zeigt sich robust – differenziert sich aber aus
Noch spiegeln sich diese Trends nicht in den aktuellen Zahlen zum Ende 2022 wider. Der Büroflächenumsatz übertrifft mit 3,5 Millionen m² zwar das Vorjahr, doch innerhalb der sieben Bürohochburgen zeigt sich eine Differenzierung: Während sich in Stuttgart der Umsatz gegenüber 2021 auf 305.000 ² mehr als verdoppelte, sank das Vermietungsvolumen in Berlin um zwölf Prozent auf 765.000 m². Gerade in der Hauptstadt fehlen Aktivitäten von Unternehmen aus der Technologiebranche, die in den vergangenen Jahren mitverantwortlich für den Nachfrageboom waren. Doch über alle Städte gelten für die Suchkriterien der Nutzer in der Regel folgende Aspekte:
- das Objekt muss gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden sein,
- das Umfeld muss über eine gute Infrastruktur verfügen,
- die Büroflächen müssen über eine sehr gute Ausstattungsqualität verfügen,
- Anforderungen an die Nachhaltigkeit müssen erfüllt sein.
Diese Aspekte steigen in ihrer Bedeutung signifikant. Hierzu gehören nicht nur Energieverbräuche und CO2-Emissionen, sondern auch soziale Komponenten wie Wohlfühlatmosphäre und flexible Arbeitszeit- und Arbeitsplatzmodelle. Büros müssen attraktiv sein, um genutzt zu werden.
„Dies alles lässt sich unter dem Trend ,Flight to Quality‘, also der Flucht in die Qualität, zusammenfassen. 2022 fanden etwa 70 Prozent der Neuvermietungen in den sogenannten A-Flächen statt, bei einem Vermietungsumsatz von 3,5 Millionen m² in den Big 7 sind das immerhin knapp 2,5 Millionen m² top-ausgestattete Flächen, die einen Nutzer fanden“, erläutert Stephan Leimbach, Head of Office Leasing JLL Germany.
Für 2023 rechnet JLL aufgrund der anstehenden konjunkturellen Schwächephase auf Gesamtjahressicht jedoch mit einem Rückgang der Nachfrage um rund zehn Prozent. „Der Markt muss allerdings im Lichte der unterschiedlichen Branchen gesehen werden. Bürovermietungen werden traditionell geprägt durch den Dienstleistungssektor. Allein auf die Gruppe der unternehmensbezogenen Dienstleister entfallen im Schnitt der vergangenen zehn Jahre mehr als 17 Prozent des Vermietungsumsatzes“, beschreibt Helge Scheunemann.
Anders sieht es dagegen bei Unternehmen aus der Industrie aus. Auch sie fragen, oftmals in größerem Umfang Büroflächen nach und stehen in der Langfristbetrachtung auf Platz zwei mit einem durchschnittlichen Umsatzanteil von fast 13 Prozent. Wie sehr aber die aktuellen Krisen rund um Lieferketten, Inflation und Energie auf die gesamte unternehmerische Kostenbilanz durchschlagen, zeigt sich daran, dass deren Umsatzanteil auf acht Prozent im Jahr 2022 merklich eingebrochen ist. „Nicht nur, aber gerade in der Industrie werden wir im laufenden Jahr eine Zweiteilung erleben zwischen energieintensiven Bereichen, wie zum Beispiel der Chemiebranche oder der Stahlproduktion, und weniger energieabhängigen Segmenten wie der Pharmaindustrie. Das dürfte sich in der Konsequenz auch in der Mitarbeiterzahl und damit der Nachfrage nach Büroflächen zeigen“, erwartet Helge Scheunemann.
Leerstand und auch Untermietflächen steigen weiter nur moderat an
Die steigende Nachfrage traf im abgelaufenen Jahr auf ein insgesamt steigendes Angebot in Form von kurzfristig verfügbaren Flächen (Leerstände) plus fertiggestellten Neubauflächen. So erhöhte sich der Leerstand über alle sieben Immobilienhochburgen hinweg im Jahresvergleich um knapp neun Prozent auf 4,7 Millionen m², die Leerstandsquote stieg entsprechend von 4,5 auf 4,9 Prozent. Der seit Jahresbeginn zu beobachtende Trend der nur moderat zunehmenden Leerstände hat sich damit auch im letzten Quartal 2022 fortgesetzt. Vor allem für Büroflächen mit schlechterer Qualität erwartet Stephan Leimbach stärker steigende Leerstände: „Durch den Fokus der Nutzer auf Topflächen werden bei einem realisierten Umzug Flächen frei, die den Anforderungen neuer Mieter häufig nicht genügen und so in den Leerstand rutschen. Diese lassen sich dann nur mit entsprechenden Mietpreisabschlägen oder nach einer umfassenden Sanierung am Markt platzieren.“ Diese Ausdifferenzierung sei letztendlich auch dafür verantwortlich, dass die bloße Menge der leerstehenden Flächen kein Alleinindikator mehr für die Mietpreisentwicklung sei. Und auch aufgrund neuer Arbeitsplatzmodelle in den Unternehmen sei damit zu rechnen, dass in der Summe mehr Flächen aufgegeben werden, als zusätzlich neu angemietet werden. Deshalb erwartet JLL eine Steigerung des Leerstands auf Jahressicht von 60 Basispunkten auf dann 5,5 Prozent.
Manche Unternehmen gehen deshalb neue Wege: „In Krisenzeiten ist das Thema Untermietflächen zur Reduktion von Flächen und Kosten immer eine Option. Aktuell registrieren wir ein Volumen von 735.000 m², die in dieser Form am Markt angeboten werden. Der Anteil am gesamten Leerstand beläuft sich auf knapp 16 Prozent und stieg damit nur leicht um zwei Prozentpunkte im Vergleich zu 2021 an“, sagt Leimbach. Das Volumen der zur Untermiete angebotenen Flächen dürfte im Jahresverlauf 2023 zunehmen, Leimbach erwartet aber keinen sprunghaften Anstieg dieses Indikators: „Wenn eine Fläche aktuell nicht benötigt wird, sehen viele Unternehmen diese als strategische Reserve, um entweder neue Arbeitsplatzkonzepte zu realisieren oder um neuen Mitarbeitern auch weiterhin attraktive Büroarbeitsplätze anbieten zu können.“
Neben der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung wird viel auch davon abhängen, inwieweit neue oder sanierte Flächen termingerecht fertiggestellt und damit bezugsfertig werden. Eine gewisse Entspannung signalisieren hier Umfragedaten der Europäischen Kommission im Baugewerbe: „Hier berichten aktuell nur noch rund 30 Prozent der befragten Entwickler über Material- und Lieferengpässe, die ihre Bautätigkeit behindern, im Mai 2022 waren es noch über 50 Prozent“, verdeutlicht Helge Scheunemann.
Leichte Entspannung bei den Baupreisen – Projektpipeline stabilisiert sich
Auch auf Seiten der Baupreise hat sich gegen Ende des Jahres eine Besserung eingestellt. Der Baupreisindex des Statistischen Bundesamts für Bürogebäude stieg zum Ende des dritten Quartals nur noch um 2,8 Prozent, nach 6,8 Prozent im zweiten und 4,7 Prozent im ersten Quartal 2022. Die Lage bleibt insgesamt aber auch 2023 volatil, denn nur ohne weitere kriegerische Eskalationen und vor allem ohne neuerliche Lockdowns oder Produktionsausfälle in China werden sich die globalen Material- und Rohstoffpreise weiter normalisieren.
Im letzten Quartal 2022 wurden nochmals rund 500.000 m² Büroflächen fertig, sodass sich das Neubauvolumen des Jahres auf 1,76 Millionen m² summierte, rund zehn Prozent mehr als im Jahr 2021. Immerhin waren über 70 Prozent dieser Flächen zum Zeitpunkt der Fertigstellung bereits vermietet. Die Fertigstellung weiterer knapp 200.000 m², die für 2022 geplant war, hat sich im Verlauf der letzten drei Monate in das Jahr 2023 verschoben. „Für das laufende Jahr stehen nun nach derzeitigem Stand etwa 1,8 Millionen m² in der Pipeline, nahezu alle davon befinden sich bereits im Bau. Der Anteil der aktuell belegten bzw. vorvermieteten Flächen liegt bei 55 Prozent, dieser Anteil dürfte aber im Laufe des Jahres weiter ansteigen“, sagt Scheunemann.
Spitzenmieten steigen im Jahresvergleich so stark wie seit 1992 nicht mehr
Die aktuelle Entwicklung der Spitzenmieten konnte in der jetzt registrierten Dynamik kaum erwartet werden. Der JLL-Spitzenmietpreisindex zog im vierten Quartal so stark an wie seit 1992 nicht mehr und erreichte über 257 Punkte. Das entspricht einem Plus von 13 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert.
„In allen Hochburgen hat sich die Spitzenmiete zum Teil signifikant nach oben bewegt, zwischen knapp fünf Prozent in München auf 44 Euro und über 33 Prozent in Düsseldorf auf 38 Euro. Mit Mietzuwächsen war zwar zu rechnen, aber nicht in dieser Deutlichkeit“, stellt Stephan Leimbach fest. Auch in Stuttgart stieg die Spitzenmiete weiter und erreichte mit einem Plus von 29 Prozent auf 33 Euro einen ähnlichen Anstieg wie in der Rheinmetropole. „Dafür sorgen eben nicht nur einzelne und kleinteilige Abschlüsse, sondern Vermietungen teilweise im vierstelligen Quadratmeterbereich. Düsseldorf und Stuttgart stehen dabei stellvertretend für einen Trend, der in allen Hochburgen zu beobachten ist: dem frühzeitigen Sichern von hochwertigen Flächen in den besten Lagen, und zwar insbesondere von den Dienstleistungsunternehmen, die im harten Wettbewerb um Fachkräfte und Talente stehen“, erklärt Leimbach. In Kombination mit den gestiegenen Bau- und Ausbaukosten führen solche Anmietungen dann zu entsprechend hochpreisigen Abschlüssen.
JLL rechnet auch für 2023 mit einer starken und anhaltend hohen Nachfrage nach Spitzenobjekten in den besten Lagen. Firmen vor allem der unternehmensbezogenen Dienstleister sind bereit, ihre Investitionen in den Faktor Fläche zu erhöhen. Gleichzeitig zeichnet sich bei den Nebenkostenbelastungen (insbesondere Strom und Gas) eine leichte Entspannung ab. Vor diesem Hintergrund erwartet JLL weiter steigende Spitzenmieten.
Quelle: JLL